The Busters mal ganz privat

Jesse lächelt in die Kamera

ABSCHIED VON JESSE

16.04.1968–26.12.2020

Am zweiten Weihnachtstag 2020 ist unser lieber Jesse verstorben.

Jesses Leben war voller Musik. Früh entdeckt er lateinamerikanische Klänge und Rhythmen für sich, hört die Santana-Platten der großen Brüder. Im Umfeld der KJG Wiesloch trifft er auf ein paar Jungs, die sein Interesse teilen und fortan seinen Weg musikalisch und, noch wichtiger, tief freundschaftlich begleiten. Im Jahr 1983 treffen sie sich im frisch eröffneten JuZ Wiesloch, um die Band TIUTISC zu gründen, und, entgegen aller damaligen Trends, Jazz-Rock zu spielen. Jesse teilt sich das Trommeln als Perkussionist mit seinem Cousin Gunther an den Drums und durch ihr enthusiastisches Proben schaffen sie es sehr bald, lokale Aufmerksamkeit als blutjunge Newcomer zu erregen und die Bühnen im Rhein-Neckar-Delta zu rocken.

Jesse wird damals mit seinen Freunden zu einem festen Bestandteil der hiesigen regionalen Musik-Szene. Sie qualifizieren sich damit für ein Ereignis, das für ein paar junge Wieslocher die Lebensweichen umstellen wird: Anlässlich eines Geburtstags soll die Ska-Party durch möglichst viele Musiker mit live gespielter Musik von den Specials, Madness, Selecter und anderen Ska-Acts umrahmt werden. An einem Samstag im Mai ’87 entsteigen einem Tross von schweren Mercedes-Limousinen dreizehn bühnenhungrige Burschen, um nach dem Gang über den roten Teppich das JuZ für Stunden im Off-Beat beben zu lassen.

Das ist die Geburtsstunde der THE BUSTERS. Jesse genießt zusammen mit der Band einen kometenhaften Aufstieg: Von Wiesloch über Bielefeld-Sennestadt nach Übach-Palenberg, von Bremen nach Berlin, nach London, nach Paris, nach Amsterdam, Prag, Mailand, Rom, Toronto, New York; von Kalifornien bis Caracas; am Nordpol vorbei, am Fuße des Fuji entlang, und schließlich schafft es Jesse mit uns sogar bis nach Hollywood – zumindest für einen Abend – auf einen Gig im Roxy’s auf dem Sunset Strip.
Zum weihevollsten Moment dieser Konzertreisen wird für Jens der Auftritt in der Miles Davis Hall beim Montreux Jazz Festival 1995. Für den musikbegeisterten Jesse ist in dem Moment ein Traum Wirklichkeit geworden.

Jesse genießt es, die Welt und ihre Menschen kennenzulernen. Der Kontakt mit dem Publikum ist für ihn essentiell verknüpft mit seinem Verständnis, Musik zu performen. Jesse feiert gerne und die Feier endet für ihn nicht mit dem letzten Song im Set. Das Gespräch mit Fans nach der Show war bei ihm niemals eine aufgesetzte Rock’n’Roll-Geste, sondern entspringt seinem tiefen Bedürfnis danach, den Flow zwischen Band und Publikum im musikalischen Teil des Abends nachwirken zu lassen und durch das persönliche Gespräch den Fans besondere Momente zu schenken. Dafür wird Jesse von ihnen gefeiert: in der Saarbrücker „Garage“ schwebt er, Jesus auf dem Wasser gleich, auf einem Keyboarddeckel stehend, von Fans getragen durch das selige Publikum.
So locker und unaufdringlich, wie er seinen Fans gegenübertrat, konnte er auch mit Größen, etwa aus Musik und Sport. Bei einem Open-Air-Festival mit Toto als Topact sahen wir ihn nach kurzer Zeit mit Drummer Simon Philipps wie alte Kumpels lachend auf einer Bank im Backstage sitzen.

Noch keine Zwanzig, da wird Jesse anlässlich eines Workshops bei Session-Musik von Weltklasse-Perkussionist Nippy Noya nach Amsterdam eingeladen. Es ist nicht leicht für ihn, auf dieses Angebot zu verzichten, aber die Freunde in seinen Bands, seine Fußball-Kumpels, seine tiefe Verwurzeltheit im hiesigen Leben bedeuten Jesses bodenständigem Wesen letztlich mehr als internationale Karrieremöglichkeiten. Denn mittlerweile beginnt er sich hier musikalisch weiter zu entwickeln: bei den Starboyzz (mit Mitgliedern der Band von Herbert Grönemeyer). Bei Rolf Stahlhofen von den Söhnen Mannheims. Und natürlich bei LAVA, der Band, die ihm neben den Busters am Herzen lag.
Dazu arbeitet Jesse mit in vielen Studioproduktionen und interessanten Projekten, wie etwa einem DJ-Percussion-Gig mit De-Phazz-Sänger Carl Frierson in Moskau: Jesse rief uns an und begann das Gespräch mit den Worten: „Ich steh hier an meinem Hotelzimmerfenster und schaue grade auf die Kremlmauer“. Damit ist er der Erste, für den ein alter Busters-Wunsch wahr wird: einmal am Roten Platz zu spielen.

Bei den Busters hatte Jesse seinen festen und prominenten Platz. Dies aber nicht nur aus musikalischen Gründen: Jesse war ein Sprachkünstler. Er war ein ungemein unterhaltsamer Erzähler mit ganz eigenem Stil, dessen Elefantengedächtnis immer eine Story auf Lager hatte. Selbst lange Tourbusstrecken verwandelten sich durch Jesse für uns alle zu angenehmen Ausflügen.
Auf Jesse gehen Spitznamen von Freunden und Bekannten zurück. Als unser Fronttechniker uns einen Après-Ski-Song vorspielt, an dessen Produktion er beteiligt gewesen ist, wird dies von Jesse quittiert mit „Oha, der Patrick startet durch als ‚DJ Petzi‘“. Seither heißt unser Tonmann eben „Petzi“.
Jesse schrieb Gedichte und Songtexte – und er ersann unvergessliche Wortkreationen. Aus dem kalten, technischen Ingenieurbegriff „Ölwarnleuchte“ wird auf einer Österreich-Tour das herzig-wienerische „Schmierlamperl“. „Mikrofonkabel“ ist ihm viel zu sperrig und zu unsinnlich, Jesse verbildlicht es zur „Singschnur“.

Und dann: „Zwischen den Jahren“. Seit über 30 Jahren beginnt für die Busters der wichtigste Tourzeitraum an oder kurz nach den Weihnachtstagen. „Zwischen den Jahren“, das empfand Jesse als sprachliches Ungetüm. Und so kreierte er eines Tages im Tourbus für die Tage zwischen Weihnachten und Silvester den Terminus „Okklamatur“. Dessen Klang, umweht von vatikanischem Weihrauch und ekklesiologischer Strenge, wirkt so bildlich echt, dass Nichteingeweihte sich fragen, ob sie im Religionsunterricht denn immer bei der Sache waren.
Nun ist Jesse kurz vor der Okklamatur, am 26. Dezember, auf seine Tournee gestartet. Der Mann hat einfach ein hervorragendes Timing.

Wie kann man Jesses reichen Charakter zusammenfassen, seine vielfältigen Talente?
Jesses intuitive, zutiefst emotionale und dabei lockere und humorvolle, und doch kraftvolle Musikalität, gepaart mit seinem liebevollen, einnehmenden Wesen, das waren seine wunderbaren Begleiter. Er ließ uns auf unserem gemeinsamen Weg daran teilhaben. Jesse schätzte den Wert und die Geborgenheit einer Gemeinschaft in guten und in schlechten Zeiten, aber auch den persönlichen und musikalischen Diskurs in der Gruppe. Dafür setzte er sich mit seiner ruhigen und integrierenden Art ein. Er war auf nicht zu erschütternde Weise von seiner Band überzeugt.
Jesse war ein zutiefst sozialer Mensch, höflich und respektvoll. Er war uns ein echter Freund. Wir vermissen ihn schmerzlich.

JESSE GÜNTHER

Percussions Alex

1. Wie lautet dein vollständiger Name?
J. S. G.

2. Hast du einen Spitznamen?
Nein.

3. Was ist dein Lieblingsessen?
Käsespätzle.

4. Hast du Tattoos?
Nein.

5. Wie trinkst du deinen Kaffee?
Mit Milch.

6. Telefonierst du gerne?
Aber natürlich. Da ich der Computertechnik nicht mächtig bin, bin ich auf das Telefon angewiesen.

7. Hast du schon mal etwas in die Luft gesprengt?
Oh ja!

8. Hast du Haustiere?
Nein.

9. Fluchst du viel?
Ja.

10. Welcher Sport sollte deiner Meinung nach eine olympische Disziplin werden?
Ringen sollte Olympisch bleiben.

11. Bist du ein ernster, lauter, schüchterner oder frecher Typ?
Alles.

12. Hast du dir schon mal irgendwelche Körperteile gebrochen?
Ja.

13. Trinkst du Alkohol?
Gelegentlich.

14. Gibt es Sachen, die du abgrundtief hasst?
Dieses Interview.

15. Welche sind deine schlechten Angewohnheiten?
Fluchen.

16. Bist du Mitglied in einem Sportverein?
Ja.

17. Welche Eissorte magst du am liebsten?
Pistazie.

18. Hast du Flugangst?
Bisweilen.

19. Rauchst du?
Nein.

20. Hast du schon mal durch Zeitung austragen Geld verdient?
Ja.

21. Trägst du Mützen?
Wenn es kalt ist.

22. Wie kann man dich beeindrucken?
Indem man jetzt dieses Interview abbrechen würde.

Jesse close-up